Abgeschlossene Forschungsprojekte & Betreute Dissertationen
Daheimgeblieben. Männer, Kinder und Alte im Kontext weiblicher Arbeitsmigration in der Westukraine.
Seit den beginnenden 2000er Jahren verlassen im Zuge zunehmender Armut und Arbeitslosigkeit im Zusammenhang mit einer vermeintlichen „Care-Krise“ im Westen immer mehr Frauen aus ländlichen Gebieten die Westukraine, um als Pflegekräfte und Haushaltshelferinnen in Mittel- und Südeuropa zu arbeiten und so zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen. Ihre Kinder und Familien lassen sie dabei häufig in der Ukraine zurück. Während die Situation von Arbeitsmigrantinnen in den Empfängerländern und deren Bemühungen, transnationale Care-Beziehungen mittels unterschiedlicher Formen des Austausches aufrecht zu erhalten, ethnografisch relativ gut erforscht sind, wissen wir bislang noch sehr wenig darüber, wie sich die (Arbeits)-Migration von Frauen und ihre Abwesenheit in ihren Rollen als Mütter, Ehefrauen und Töchter auf die daheimgebliebenen Familienangehörigen auswirken. Aufbauend auf anthropologischen Ansätzen im Schnittfeld von Care, Kinship und Gender steht daher die ethnografische Untersuchung der Situation der daheimgebliebenen Väter, Kinder und Großeltern, deren Beziehungen zu den emigrierten Frauen und den Effekten der Emigration von Frauen und deren (neue) Rolle als Versorgerinnen ihrer Familien auf Care-Praktiken, lokale Vorstellungen von Verwandtschaft und Familie, Geschlechterverantwortlich-keiten und Zugehörigkeiten im Mittelpunkt meines Dissertationsvorhabens.
Projektdauer: März 2016 - August 2023
Finanziert durch: Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF)
Projekt von: Ilona Grabmaier
Betreut von (Erstbetreuerin): Tatjana Thelen
The workings of corporate social responsibility in the (re)configuration of contemporary societies
Corporate Social Responsibility as a case of moral transformation has been celebrated as the solution to world problems. CSR departments that are officially in charge of establishing morality in businesses organizations have been implemented into upper management. The CSR managers claim, that the ability to cross-cut between the seemingly different institutional contexts of modern society (economy, politics, society) is a prerequisite to be able to do this work and push CSR forward.
This PhD project draws on ethnographic research within a major business corporation in Turkey, operating in a particularly contested and criticized business sector. It deals with the translation of these societal and moral values into practices in business organizations and the role individual CSR practitioners play in these practices. CSR is therefore conceptualized as a moral economy to reflect the continuous (re)negotiation of meanings, moralities and interests within organizations across contradicting and manifold institutional contexts. The boundary work of actors at top management level, in supply chain audits, international project meetings and other internal CSR activities serves as a lens through which the conceptualization of society at large can be explored. The project is located the disciplinary intersection of organizational, business, economic and political anthropology, with a special focus on value studies, moral economies, gifts & rights and care studies.
The PhD project is part of the DOC-team project "Practicing Values - Valuing Practices" funded by the Austrian Academy of Sciences. In this project, Deniz Seebacher, Barbara Stefan and Andreas Streinzer are researching renegotiations of so-called economic and moral values in three contexts (the others being the effects of austerity measures in Greece and Social Movements for Democracy and Distributional Justice in Austria) and from the perspective of three disciplines (social and cultural anthropology, business anthropology, political sciences).
Projektdauer: Oktober 2014 – Oktober 2017
Finanziert von: Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW), DOC-team
Projekt von: Deniz Seebacher
Betreut von: Tatjana Thelen (Co-Betreuer: Ståle Knudsen, Universität Bergen)
Enactments of participation: Performing state, civil society and family in an ‘ecological village’ in China
Verschmutzung durch Landwirtschaft, Lebensmittelskandale, Einkommensungleichheit und Herausforderungen mit Bezug auf die massive Abwanderung aus dem ländlichen Raum schaffen es derzeit regemäßig in die Schlagzeilen in China. Seit den 2000er Jahren richten der chinesische Staat und soziale Bewegungen die Aufmerksamkeit wieder vermehrt auf das Ländliche. Das Dissertationsprojekt von Christof Lammer befasst sich mit Prozessen der Staatstransformation im Kontext ländlicher Entwicklung. Die Arbeit beruht auf einer einjährigen ethnographischen Feldforschung in einem selbsternannten ‘ökologischen Dorf’ in der Provinz Sichuan und dem verbundenen Lebensmittelnetzwerk. Die Dissertation untersucht wie Akteure globalisierte Ideen der ‘Neuen Bewegung zum ländlichen Aufbau’ wie Partizipation, Gemeinschaft, Kooperation und Nachhaltigkeit, sowie staatliche Kampagnen zum ‘Aufbau neuer sozialistischer Dörfer’ und zum ‘Aufbau einer ökologischen Zivilisation’ in lokale Praktiken übersetzen. In dieser ‘Stategraphy’ – einem ethnographischen Zugang zum Staat – wird die Frage bearbeitet, wie Grenzen zwischen ‘Staat’ und ‘Zivilgesellschaft’ in Performances von ‚Partizipation’ ausgehandelt, konstruiert und aufgelöst werden. Ein Fokus auf diese Grenzziehungsprozesse in diesen Performances ist wichtig um zu verstehen, wie der Staat reproduziert und transformiert wird, wenn Beamte und andere Bürger*innen das Ökologische, Sorge/care und Bürokratie in China inszenieren.
Finanziert von: Universität Wien (Februar 2013 – Juli 2017), Marietta-Blau-Stipendium (September 2014 – September 2015), China Scholarship Council (September 2014 – Juni 2015)
Projekt von: Christof Lammer
Betreut von: Tatjana Thelen
Verwandtschaft und Politik. Eine konzeptionelle Trennung und ihre epistemischen Folgen in den Sozialwissenschaften
Verwandtschaftsverhältnisse sollten in der Politik keine Rolle spielen: dies gehört zum Selbstverständnis moderner westlicher Staaten. Der Einfluss von Verwandtschaftsbeziehungen gilt geradezu als Gegenteil eines rationalen Verwaltungssystems. Diesem Denken entsprechend unterscheidet die Bedeutung, die der Verwandtschaft in einer Gesellschaft beigemessen wird, zwischen "modernen" und "traditionellen", zwischen "entwickelten" und "unterentwickelten" Gesellschaften.
Lange Zeit gab es daher jenseits ethnologischer und historischer Forschungen zu "traditionalen" Gesellschaften wenig Interesse für die Thematik der Verwandtschaft. Es war zwar üblich, nicht-westliche Gesellschaften durch die Linse von "Verwandtschaft" zu betrachten, für westliche Gesellschaft wurde jedoch in aller Regel ein anderer Fokus gewählt.
Diese kategorische Trennung von Politik und Verwandtschaft hat eine lange Vorgeschichte und sie hat weitreichende Konsequenzen für die Forschung wie für die politische Praxis. Um einen modernen Staat oder eine gute Verwaltung zu schaffen, um ehemalige Kolonien zu demokratisieren und sogar, um terroristische Infrastrukturen zu zerstören, gelte es den Einfluss von Verwandtschaftsbeziehungen auszuschalten.
Das Ziel unserer Forschungsgruppe ist eine Neubewertung dieser konzeptionellen Trennung zwischen Verwandtschaft und Politik. Unsere Arbeit beginnt mit der Überprüfung der Kategorien "Politik", "Verwandtschaft" und "Familie", wie sie in Geschichtswissenschaft und Ethnologie seit dem 19. Jahrhundert verwendet werden. Beide Disziplinen haben entscheidend zur heute gängigen Abgrenzung zwischen Staat und Gesellschaft, Wandel und (dauerhaften) Strukturen, "the West and the Rest" beigetragen. Beide Disziplinen haben jedoch jüngst, jede auf ihre Weise, die epistemologischen Grundlagen dieser Gegenüberstellungen hinterfragt. Die Resultate dieser Arbeiten sind außerhalb der betreffenden Disziplin bisher aber kaum zur Kenntnis genommen worden.
Um die Tragweite der begrifflichen und theoretischen Trennung von Verwandtschaft und Politik zu ermessen, bedarf es des interdisziplinären Austauschs und neuer Disziplinen übergreifender Fragestellungen. Wir verbinden eine kritische Untersuchung der Theoriegeschichte mit empirischen Befunden zu den anhaltenden Auswirkungen solcher Kategorisierungen. Innerhalb dieses Rahmens möchten wir zudem prüfen, in welcher Form die Kategorie "Verwandtschaft" als analytisches Werkzeug auch für die Erforschung aktueller Debatten um Zugehörigkeit und (Re-) Konstitution politischer Ordnungen fruchtbar gemacht werden kann.
Dauer: Forschungsgruppe 2016/2017 am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung (ZiF), Universität Bielefeld
Finanzierung: Universität Bielefeld über das Zentrum für Interdisziplinäre Forschung (ZiF)
Leitung: Erdmute Alber (Bayreuth, Deutschland), David Warren Sabean (Los Angeles, USA), Simon Teuscher (Zürich, Schweiz), Tatjana Thelen (Wien, Österreich)
Between Institutions and Hearts: Dynamics of Need, Redistribution and Social Security in a Village from Northern Dobruja
In my doctoral thesis I analyze how the needy access livelihood resources on an everyday basis by appealing to the officials of the local state, to kinsfolk, and to the religious community. My ethnographic analysis takes the viewpoint of a village from Northern Dobruja (south-east Romania) in order to speak to broader issues regarding the mutual dependencies and influences between social support mechanisms, the manifold influences exerted on the everyday work of state bureaucrats, and the role of religion in shaping everyday practices of social support. Through the examples analyzed, I show that the help given to the materially needy by kin or by churchgoers cannot be analyzed in isolation from state-provided welfare benefits. Welfare allocation through state offices, in turn, cannot disregard the role that religious ideas play in state bureaucrats’ everyday work. I show that religious charity is a crucial pillar of village-level social support practices, and that an everyday discourse with roots in the Christian tradition (the discourse of the ‘heart’) shapes local-level resource redistribution across the social categories of genealogical kin, participants in church ritual, and state bureaucrats. The thesis brings to light dynamics of welfare provision within and beyond household units and sheds light on how individuals create on an everyday basis the welfare mix on which their survival depends. It thus critically complements recent analyses of welfare transformation in the aftermath of socialism, which have been overly focused on state-provided welfare.
Finanziert von: Volkswagen Stiftung*
Projekt von: Ioan-Mihai Popa
Damalige Position: Doktorand am Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung und Universität Halle-Wittenberg
*Projekt “Local State and Social Security in Rural Hungary, Romania and Serbia”, Projektleitung: Tatjana Thelen
Kinning interrupted. Growing up in state care in late socialist Hungary
While kinship studies is frequently about creating kin, this project looks at moments of interrupted kinning in three sets of relationships in state care: to relatives, to staff in children’s home and to peers. The state – as orchestrator of these relationships – shapes which ties are seen as important and which are discounted. This analysis will turn the attention towards the role of teachers, casting the gaze to the local school to reflect that children in care move within a wider community than the children’s home. This approach will be completed by an examination of the ascribed identity of children in care, particularly of Roma children. The project focuses on late socialist Hungary to see how care dynamics can be understood under state socialism within the context of recent high profile abuse cases in other European countries. Through narrative interviews with care leavers, case files and pedagogical literature, it identifies the limits and norms of legitimate violent conduct, contributes to a bottom-up understanding of experiences in care and reflects on the state’s involvement in the breaking of kin.
Gast von: Mai bis August 2014
Finanziert von: DAAD Forschungsstipendium
Projekt von: Jennifer Rasell
Damalige Position: Doktorandin am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam
Rescaling States - Rescaling Insecurities: Rural Citizenship at the Edge of the Hungarian State
This research examined how the ongoing neoliberal state restructuring in Hungary affects rural areas through the lens of two remote villages and analysed the ways in which rural inhabitants/officials reposition themselves and their locality within the currently emerging state spaces. The capitalist scalar restructuring along with the post-1989 state decentralisation and accession to the EU has brought a variety of new opportunities for remote rural places, but has also produced manifold insecurities. The project utilised ethnographic methods to delineate the present form of these processes with a particular emphasis on the practices of local state officials in three crucial areas: social security, development and access to resources. The responsibilities in these areas are shifting from the centre to the local state and to individuals and their families, resulting in a rescaling of insecurities. The project examined the social processes through which state rescaling is taking place, the ways local officials/inhabitants cope with the consequent rescaling of insecurities and the ways these reconfigure the relationship between rural inhabitants and the state. The consequences of this state rescaling on social citizenship can be only captured by a spatially sensitive conceptualisation of citizenship, which integrates the experience of rural inhabitants. The project proposed steps and analytical tools towards such re-conceptualisation.
Finanziert von: Volkswagen Stiftung*
Projekt von: Alexandra Szöke
Damalige Position: Doktorandin am Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung und Central European University Budapest (Letztbekannte Position: Research Officer am Centre of Migration Policy Research, Swansea University)
*Projekt “Local State and Social Security in Rural Hungary, Romania and Serbia”, Projektleitung: Tatjana Thelen
State Relations: Local State and Social Security in Central Serbia
Diese Dissertation untersucht den Staat bei der Arbeit. Mein ethnographischer Fokus liegt auf der Analyse lokalstaatlicher Verhältnisse in Zentralserbien, wobei ich den Lokalstaat als geerdetes, konkret-komplexes Netzwerk von Beziehungen betrachte, in welchem sich staatliche Prozesse sublokalen bis transnationalen Maßstabs kreuzen. Substanziell verbinden Alltagspraktiken auf den Feldern Infrastruktur, Wohlfahrt und Sorge die Forderungen der Bürger mit den staatlichen Verantwortlichkeiten und Budgets. Dabei steht Infrastrukturarbeit für die materiellen Versprechen des Staates, die Zukunftshoffnungen, und das Vertrauen der Bürger in den Staat. Wohlfahrt und Pflege verkörpern die Dialektik von Inklusion und Exklusion, Zugehörigkeiten und Solidaritäten. Formal eröffnet mein relationaler Ansatz längs der vier Forschungsachsen Einbettung, Abgrenzung, Modalitäten und strategische Selektivität eine kritische Perspektive auf staatliche Konstruktions-, Reproduktions- und Transformationsprozesse.
Keywords: Anthropologie des Staates, Infrastruktur, Lokalstaat, Macht, Pflege/Sorge, Postsozialismus, Relationale Theorie, Serbien, Staatliche Raumtheorie, Wohlfahrt
Finanziert von: Volkswagen Stiftung*
Projekt von: André Thiemann
Damalige Position: Doktorand am Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung und Universität Halle-Wittenberg
*Projekt “Local State and Social Security in Rural Hungary, Romania and Serbia”, Projektleitung: Tatjana Thelen