ad Mindeststudienleistung
Die Einführung von Mindeststudienleistungen fügt sich in Maßnahmen ein, die unter dem Schlagwort der Rationalisierung bzw. Ökonomisierung des Bildungswesens zusammengefasst werden können (Einführung einer Studieneingangs- und Orientierungsphase, Aufnahmeverfahren, Studiengebühren bei Überschreitung der Regelstudiendauer). Es ist offensichtlich, dass die Neuregelung im Zusammenhang mit den Leistungsvereinbarungen zwischen Ministerium und Universitäten steht, in denen die Erhöhung der Prüfungsaktivität von Studierenden eine mit finanziellen Sanktionen behaftete Anforderung darstellt.
Die Einführung von Mindeststudienleistungen wird aus folgenden Gründen als problematisch angesehen; auch bedürfte sie flankierender Maßnahmen:
(a) Die Maßnahme steht im Widerspruch zum Grundverständnis der Universitäten als Bildungseinrichtungen, die dem Paradigma des lebenslangen Lernens verpflichtet sind. Damit verstößt sie auch gegen eine Grundidee des Bologna-Prozesses. Sie erschwert den Zugang zur universitären Bildung insbesondere von Personen, die in späteren Lebensphasen zur beruflichen oder persönlichen Weiterbildung ein Studium an der Universität absolvieren möchten.
(b) Die Maßnahme vernachlässigt jene Aspekte des Bildungsprozesses, die vor allem zu Beginn des Universitätsstudiums entscheidend zur Orientierung und (Selbst-)Sozialisierung im tertiären Bildungssystem beitragen. Dazu gehört das ‚Hineinschnuppern‘ in verschiedene Disziplinen ebenso wie das Engagement bei extra-curricularen Aktivitäten.
(c) Um negative selektive Effekte möglichst gering zu halten bzw. überhaupt zu eliminieren, wie etwa die Benachteiligung von Personen, die, aus welchen Gründen immer, Schwierigkeiten mit dem Einstieg in den universitären Bildungsprozess haben, bedürfte es Investitionen in ein unterstützendes, aktivierendes und ermutigendes Lernumfeld (z.B. Tutorien, Studienassistenzen, Mentoring). Dies würde auch der Barrierefreiheit als Grundprinzip der Universität Ausdruck verleihen.
(d) Die Maßnahme ist offenbar auch dazu gedacht, Mehrfachstudien zu erschweren. Gerade Studierende mit übergreifenden Ausbildungsinteressen werden mit der neuen Regelung ‚bestraft‘. Aus Sicht der Gestaltung von Bildungsprozessen und der Gewährleistung möglichst großer Lernfreiheit sollte die Mindeststudienleistung nicht für jedes Studium, sondern allenfalls pro Kopf bemessen werden.
Inakzeptabel und unbegründet ist der sanktionierende Charakter der Maßnahme, wonach die Zulassung an derselben Universität für die Dauer von 10 Jahren ausgeschlossen wird. Auf Sanktionierung statt auf Anreize zu setzen, ist auch in der tertiären Bildung ein antiquierter Ansatz, der den komplexen und sich ändernden Lebenslagen und Karriereplanungen von potentiellen Studierenden nicht gerecht wird.
In der Begründung der Novelle wird auf die geplante flexiblere Handhabung der Beurlaubungsregelung hingewiesen: Studierende können sich während eines Semesters beurlauben lassen. Dies ist zu begrüßen. Gleichzeitig ist eine Ausweitung der Beurlaubungsgründe zu fordern, insbesondere von Erwerbstätigkeit und (in manchen Studien notwendigen) Auslandsaufenthalten. Lange durchschnittliche Studienzeiten ergeben sich vielfach daraus, dass Studierende ihr Studium zusätzlich zu einer Berufstätigkeit absolvieren. Es wäre dringend geboten, flexiblere, vom Regel-Vollzeitstudium abweichende und den individuellen Lebensrealitäten der Studierenden besser angepasste Studienabläufe zu ermöglichen. Dadurch kann auch in schwierigen Lebenssituationen, etwa die Einkommenssicherung betreffend, das Studium fortgesetzt und abgeschlossen werden.
ad Initiativrecht des Rektorats im Hinblick auf Curricularänderungen und Strukturvorgaben für Curricula
Ein Initiativrecht des Rektorats zur Änderung von Curricula ist kritisch zu sehen, da sie Eingriffen in fachlich begründete Curricula Tür und Tor öffnet. Sie ist überflüssig, da Studienprogrammleitungen und Rektorate ohnedies in ständigem Austausch sind, und die Curricula vor allem hinsichtlich ihrer budgetären Bedeckung, aber auch möglicher Qualitätsmängel in der Lehre kontinuierlicher Kontrolle unterliegen. Es wäre ein alarmierendes Signal und würde die vertrauensvolle Zusammenarbeit untergraben, würden Curricularreformen gegen den Willen des wissenschaftlichen Personals, der Studierenden und der verantwortlichen Studienprogrammleitungen initiiert werden können.
Das gleiche gilt für die Struktur von Curricula, für die didaktische, inhaltliche und disziplinenspezifische Kriterien ausschlaggebend sein sollten, für die die Expertise bei den Fachbereichen und nicht den Rektoraten liegt.
ad Anerkennung von Prüfungen, Qualifikationen und Beweislastumkehr
Im Prinzip ist die erleichterte und flexiblere Anerkennung von beruflichen und außerberuflichen Qualifikationen zu begrüßen. Bei Anerkennungsverfahren ist jedoch der administrative Aufwand zu beachten. Zu befürchten ist, dass dieser im Falle einer Beweislastumkehr stark steigen wird, da seitens der SPLs stichhaltige Begründungen geliefert werden müssen, die rechtlich beeinsprucht werden können (und auch werden, wie die Erfahrung zeigt). Der Einbezug außerwissenschaftlicher Qualifikationen erfordert die Definition von Grundsätzen und Richtlinien, zusätzliches Expert*innenwissen über berufliche und außerberufliche Qualifikationen sowie zusätzliche Ressourcen zur administrativen Bearbeitung.
Der vorgesehene Umfang der Anerkennung von vor- und außerwissenschaftlichen Leistungen und Qualifikationen von bis zu 90 ECTS-Punkten untergräbt den Anspruch der wissenschaftlichen Berufsvorbildung des Bachelorstudiums. Der Wegfall von bis zu 50% der ECTS-Punkte eines Bachelorstudiums widerspricht dem kontinuierlichen Kompetenzaufbau, der in den Curricula vorgesehen und abgebildet ist, und unterminiert den niveauausgleichenden Charakter und die gemeinsamen Sozialisationseffekte eines wissenschaftlichen Studiums. Es droht ein Qualitätsverlust der Studien durch weitere Heterogenisierung im Qualifikationsniveau der Studierenden und die Verunmöglichung von kontinuierlichen Lernprozessen.
Um negative Folgen abzuwenden, wäre eine Begrenzung der Anerkennungsmöglichkeiten von nicht wissenschaftlichen Qualifikationen auf ein mit den bestehenden Curricula vereinbares Maß erforderlich, in der Regel höchstens 30 ECTS-Punkte.
Auch andere Neuerungen bergen die Gefahr erheblichen administrativen Mehraufwands. Die Idee eines „Learning Agreements“ nach Absolvierung von 100 ECTS-Punkten ist durchaus attraktiv, es muss aber Sorge getragen werden, den administrativen Aufwand bei der Umsetzung möglichst gering zu halten und zusätzliche personelle und finanzielle Ressourcen dafür vorzusehen. Zudem stellt sich die Frage, wer für die Erstellung und Einhaltung des „Learning Agreements“ zuständig ist.
ad Befristungen von Lektor*innen
Als sehr bedenklich sehen wir die Neuregelung der Kettenverträge, die eine Höchstbefristung von 8 Jahren vorsieht, wobei alle Anstellungsverhältnisse unabhängig vom Zeitpunkt addiert werden. Für Lektor*innen verkürzt sich die Möglichkeit befristeter Anstellungsverhältnisse sogar auf insgesamt 6 Studienjahre. Dies bedeutet de facto ein Ende des nachhaltigen Engagements von Personen, die auch oder vor allem aufgrund ihrer beruflichen Expertise zu einer Lehrtätigkeit eingeladen werden und die für viele Studierende eine Brücke in die Berufswelt darstellen. Hier stellt sich die Frage, ob bzw. wie sich ein Verbot auf Lebenszeit verfassungsrechtlich begründen lässt und ob ein Quasi-Berufsverbot (z.B. in Studienrichtungen, die nur an einer österreichischen Universität angeboten werden) arbeitsrechtlich zulässig ist.
Attraktivität und Qualität der sozialwissenschaftlichen Studienangebote, vor allem auf Bachelorniveau, resultieren zu einem nicht geringen Grad aus der Einbindung von Personen, die im außeruniversitären Bereich wissenschaftlich tätig sind und regelmäßig ihre Expertise einbringen. Die Neuregelung unterbricht wichtige Transmissionsmöglichkeiten zwischen außeruniversitärer Expertise und universitärer Wissensvermittlung und zwingt zu Entscheidungen über Entfristungen, was zu einer höchst problematischen Verengung des Angebotsspektrums in der Lehre führt und die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Lehrangebots massiv einschränkt.
Die unterschiedlichen Höchstbefristungen für wissenschaftliche (Projekt-)Mitarbeiter*innen und Lektor*innen untergraben das Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre und entsprechen weder der Realität noch den Bedürfnissen der Universität und deren Mitarbeiter*innen. Tatsächlich ist es für viele Projektmitarbeiter*innen aus Gründen der Karriereentwicklung wünschenswert und sinnvoll, auch zu lehren. Zugleich bringen sie aus ihrer Forschung wichtiges aktuelles Wissen und Expertise in die Lehre ein, was zur Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Ausbildung beiträgt. Nach Erreichen einer sechsjährigen Lehrtätigkeit würde dieses Band zwischen Forschung und Lehre willkürlich und zum Nachteil aller Beteiligten durchschnitten. Damit würden wichtige Impulse für die universitäre Lehre verloren gehen.
Die Kettenvertragsregelung nimmt keine Rücksicht auf besondere Konstellationen, die für bestimmte Gruppen von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen durchaus typisch sind. Es gibt zahlreiche externe habilitierte Lektor*innen, die die Betreuung von Studierenden übernehmen und damit einen wichtigen Beitrag zur Produktion von Studienabschlüssen leisten. Habilitierte Lektor*innen sind aber zur Erhaltung Ihrer Habilitation und als Abgeltung für ihre Betreuungsleistungen auf die Abhaltung von Lehrveranstaltungen angewiesen. Es ist dringend geboten, für diese Gruppe eine Lösung zu finden und ev. Ausnahmebestimmungen festzulegen.